Am 1. Juni 2022 veröffentlichte der Weser-Kurier ein Pamphlet gegen das Grundeinkommen. Verfasser dieses Schriftwerks war Peter Gärtner von der Politikredaktion dieser Zeitung.
Existenzsicherung ist keine Völlerei, Herr Gärtner!
Zuerst zitiert Herr Gärtner dabei das Bild eines Schlaraffenlandes, in dem Milch und Honig fließen. Und wieder einmal bin ich schockiert über den Zynismus in diesem Vergleich. Existenzsicherung bedeutet, dass es keine Kinder- und Altersarmut gibt, keine finanziellen Nöte Alleinerziehender, kein Leben von Pfandflaschen und kein Betteln an Tafeln. Für Herrn Gärtner bedeutet Existenzsicherung Völlerei. Ein Fließen von Milch und Honig, von dem er für sich selbst träumt, aber den Armen unter uns weder Brot noch Wasser gönnt oder für eine Illusion wie das Schlaraffenland hält. Die Welt von Peter Gärtner darf niemals die unsere werden!
Ein Querdenker unter den Grundeinkommens-Kritikern
Weiterhin beschreibt Herr Gärtner eine dystopische Zukunft, in der unattraktive Arbeiten nicht mehr geleistet werden, (sowie) sobald ein Grundeinkommen eingeführt wurde. Auch da offenbart sich ein sonderbares, fast schon preußisches Menschenbild. Denn was Herr Gärtner selbst für unattraktiv hält, müssen andere durchaus nicht so sehen. Es mag für sehr viele Menschen durchaus unschön sein, Toiletten zu reinigen. Sogar heute noch, obwohl auch hier der technologische Fortschritt sehr viel verändert hat. Doch auch das stundenlange Hocken vor einem PC in einem Ingenieurbüro oder die abendlichen Besuche bei Privatleuten, um Versicherungen abzuschließen, sind für viele Menschen ebenso unattraktiv. In der Wissenschaft ist man sich in allen Fakultäten darüber einig, dass jeder Mensch das Grundbedürfnis hat, in seine Umwelt gestalterisch und produktiv einzugreifen, sie zum eigenen und zum Wohl anderer zu formen und die Erfolge eigenen Handelns beobachten zu können. Das bedeutet auch, dass Menschen in Zukunft, wie auch schon zu allen Zeiten, aus unattraktiven Tätigkeiten attraktive machen. Was Herr Gärtner aber sagt, hat mit Wissenschaft nichts zu tun. Und die Folgen, die so ein unwissenschaftliches Denken hat, konnten wir alle während der Coronakrise sehen. Querdenker gibt es also auch in Sachen Welt- und Menschenbild. Herr Gärtner ist einer davon.
Herr Gärtner traut Gewerkschaften nichts zu
Nur durch dieses Denken und eine komplette Ignoranz der Geschichte lässt sich erklären, wie Herr Gärtner die Zukunft der Gewerkschaften sieht. Da prognostiziert er, dass sie sich nach der Einführung eines Grundeinkommens auflösen würden. Aber warum sollten sie das tun? Es wird weiterhin Tarifpartner und Tarifverträge geben. Erst dann, wenn die Gewerkschaften von sich aus sagen, sie wollten nun keine Arbeitnehmer mehr vertreten, könnten sie sich auflösen. Ein Verbot von Gewerkschaften per Gesetz ist nicht möglich. Es wird weiterhin branchenspezifische Tarife geben, die durch ein Grundeinkommen in keiner Weise berührt werden. Nur wegen eines Grundeinkommens werden sich Arbeitnehmer*innen nicht mit einem Hungerlohn abgeben müssen.
Nur wenn die Gewerkschaften sich aus eigenem Willen auflösten, könnte die Prognose von Herrn Gärtner zutreffen. Und auch dann gäbe es noch immer kein Verbot, neue Gewerkschaften zu gründen. Eher werden die Vertretungen der Arbeitnehmer*innen gestärkt, denn das Grundeinkommen wäre gleichzeitig eine gute Unterfütterung aller Streikkassen. Soll doch der Druck auf die Löhne steigen. Der Gegendruck wird umso kräftiger.
Geld statt Menschenrechte
Was Herr Gärtner weiterhin vergisst oder in seinem Weltbild nicht anerkennen möchte ist, dass Gewerkschaften nicht nur für gerechte Bezahlung kämpfen, sondern auch die Arbeitssicherheit im Auge haben, für Geschlechtergerechtigkeit zuständig sind, einen Bildungsauftrag haben und ein Mitspracherecht bei der Urlaubsregelung besitzen. Und auch den Niedriglohnsektor werden die Gewerkschaften weiterhin bekämpfen, wie es auch andere Institutionen tun werden. Ob mit oder ohne Grundeinkommen. Denn das Grundeinkommen ist kein Lohn, sondern ein persönliches Recht. Herrn Gärtner geht es allein um das Geld. Ihm geht es nicht um Menschenrechte. Gut, dass die Gewerkschaften eine höhere Meinung von sich haben.
Natürlich spricht Herr Gärtner auch die Finanzierung des Grundeinkommens an. Dies aber nur sehr kurz und äußerst vereinfacht. Dies kann nur daran liegen, dass er die Finanzierungsmodelle nicht kennt oder sich nicht dafür interessiert.